Das Internet hat eine Kultur geschaffen, in der man Rechte verlangt, aber keine Pflichten übernimmt. Du nimmst, aber du gibst nichts. Das Internet ist die Plattform, von der aus wir der Welt unsere Geschichte erzählen. Die Geschichte anderer wollen wir nicht hören. Politisch ist das größte Problem genau diese Verantwortungslosigkeit. Das Internet wird uns präsentiert, als sei es wundersam vom Himmel gefallen, um uns allen zu dienen. Die Folge? Der Konsument hat den Bürger ersetzt. Alles dreht sich darum, was uns zusteht, was wir wollen, wie wir es kriegen. Und zwar so schnell wie möglich.
Nein, es passt uns absolut nicht, was Andrew Keen über das Internet sagt, und es tut uns Online-Junkies schon ein bisschen weh, wie respektlos er mit unseren Heiligtümern umgeht.
In einem Interview, das Laura Hertkemper und Joachim Käppner mit Andrew Kern führte (Süddeutsche Zeitung, 21./22.02.2015), schießt er eine beispiellose Kanonade ab – gegen Twitter, Instagramm, Facebook & Co.
Twitter sei voll von „selbstreferentiellen Narzissmus“ und Facebook die „gruseligste aller Firmen im Netz“. Seine Hauptthesen aus seinem jüngst in Deutschland erschienenen Buch „Das digitale Debakel“ sind alles andere als appetitlich für die Cyber-Community:
Die digitale Revolution lässt die Schere zwischen Arm und Reich auseinander gehen; die Mittelschicht verschwindet – es profitieren vor allem „junge, weiße Männer, die im Silicon Valley sitzen, Milliarden verdienen und sich die Hände reiben“.
Internetfirmen verkaufen gesammelte Daten weiter: Die willenlose Masse vor den Bildschirmen wird im Internet zum Produkt für das Gewinnstreben profitsüchtiger Mega-Unternehmen.
Das Internet vernichtet Arbeitsplätze. Beispiel Kodak: Der Fotografieausrüster hatte einst 145.000 Mitarbeiter. Durch die digitale Fotografie und das Teilen von Fotos im Internet, zum Beispiel bei Instagramm, sei die Mitarbeiterzahl heute auf weniger als ein Zehntel geschrumpft, während Instagramm im Jahr 2012 „gerade mal ein Dutzend Mitarbeiter“ gehabt habe.

Wie desillusionierend für uns, die wir im Internet und in den sozialen Netzwerken neue Chancen für Kommunikation und Demokratie gesehen haben, und wieder wettert Keen im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gegen Twitter und das Internet im Allgemeinen:
Praktisch ist Twitter, wie das gesamte Netz, Schauplatz von Mobbing und Hetzkampagnen, regelrechter Onlinepogrome, durch die Menschen und Gruppen aus einer Gemeinschaft gedrängt werden. Das heißt: Die Gemeinschaft im Netz ist reine Einbildung. Die sogenannten sozialen Netzwerke sind absolut asozial.
Bei aller heftiger Kritik lehnt Andrew Keen das Internet an sich nicht ab; er fordert vielmehr klare Online-Regeln: die Einschränkung der Macht der Internetkonzerne, Datenschutzgesetze und das Verbot der Anonymität bei der Meinungsäußerung im Internet.
Im Kern wendet sich Keen gegen zwei Gruppen: gegen die Internetkonzerne, die die Menschen für ihre eigenen Profitzwecke benutzen, und gegen die Masse der Internetnutzer, die auf flachstem Niveau sich selbst darstellen, hemmungslos verallgemeinern und dabei kein Pardon gegenüber Minderheiten und Schwachen kennen.
Andrew Keen fordert ein humanes Internet.
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen...